Gründer*innen, Führungskräfte, Anteilseigner*innen: Die deutsche Wirtschaft bleibt eine Männerdomäne. Eine exklusive Auswertung zeigt, in welchen Branchen und Bundesländern Frauendomänen vorhanden sind.
Was die drei Frauen vergangenes Jahr in Chemnitz gestartet haben, ist leider eine Seltenheit: Susann Heidler, Jeanine Lindenhahn und Tina Stapel gründeten Anfang Oktober ihr eigenes Café namens Dreamers Coffee and Wholefood. Eine solche Existenzgründung mag vielleicht keine Gründung sein im eigentlichen Sinne der Definition, wie sie der Bundesverband Deutsche Startups benutzt (innovatives Geschäftsmodell, auf rasches Umsatz- und Mitarbeiterwachstum ausgelegt), aber dennoch zählen Heidler, Lindenhahn und Stapel nun offiziell zu Unternehmensgründerinnen in Deutschland. Dieser Umstand reicht aus, um sie zu Raritäten zu machen.
Laut einer exklusiven Auswertung des Lübecker Wirtschaftsinformationsdienstes Databyte für die WirtschaftsWoche bleibt das deutsche Startup-Ökosystem auch im Coronajahr 2020 eine Männerdomäne: Lediglich 17,5 Prozent aller im vergangenen Jahr gegründeten Unternehmen wurden von Frauen gegründet.
Auch der Bundesverband Deutsche Startups kommt mit seiner eigenen Erhebung, dem Deutschen Startup Monitor, auf eine ähnlich geringe Quote: 15,9 Prozent. Jannis Gilde, der beim Verband auch die Gründerinnen-Studie Female Founders Monitor betreut, kennt das Problem: "Grundsätzlich sind wir als Verband nicht zufrieden mit dem Anteil an Startup-Gründerinnen in Deutschland: Dieser ist leider in den letzten Jahren nur wenig angestiegen."
Betrachtet man die Aufteilung nach Bundesländern, zeigt sich eine überraschende Tendenz: In ostdeutschen Ländern ist der Frauenanteil an Unternehmensgründern höher. Auf dem ersten Platz der Länder mit dem höchsten Frauenanteil steht Mecklenburg-Vorpommern (21,3 Prozent), gefolgt von Sachsen-Anhalt, Sachsen, Berlin und Brandenburg. Schlusslicht ist Bremen mit einem Frauenanteil von 11,7 Prozent. Jannis Gilde mutmaßt: "Eine große Herausforderung für viele Gründerinnen ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, denn auch im Startup-Ökosystem übernehmen Frauen noch immer oft mehr der familiären Aufgaben. In Ostdeutschland ist die Kinderbetreuung meist sehr gut ausgebaut, das dürfte potenziellen Gründerinnen helfen." Denn die typische Gründerin ist im Durchschnitt Anfang 30 – "das ist auch genau die Lebensphase, die oft mit der Familienplanung zusammenfällt."
Laut Databyte-Geschäftsführer Alexander Hiller muss man bei der Erklärung aber auch Folgendes miteinbeziehen: "Die Gründungszahlen sind, entsprechend der Einwohnerzahl, in Mecklenburg-Vorpommern recht niedrig. Deshalb haben die von Frauen gegründeten Unternehmen dort verglichen mit den anderen Bundesländern mehr Gewicht." Mecklenburg-Vorpommern ist das am wenigsten dicht besiedelte Bundesland Deutschlands. Andererseits würde sich der beschriebene Effekt aber wohl auch stärker in die andere Richtung auswirken, wenn die männlichen Gründer dort deutlicher als anderswo in der Überzahl wären.
Das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern weist zudem darauf hin, dass die Handelsregister-Neugründungen nicht alle Gründungen abbilden, "da nicht für jede Gründung ein HR-Eintrag erforderlich ist (zum Beispiel Steuerberatung)". Ein Sprecher des Ministeriums für Soziales, Integration und Gleichstellung aus Schwerin ergänzt, dass die Beschäftigungsquote von Frauen in Mecklenburg-Vorpommern überdurchschnittlich hoch sei, woraus sich auch ein höherer Anteil an Unternehmensgründungen ergebe. Darüber hinaus verweist auch das Ministerium auf "überdurchschnittliche" Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf: "So ist Mecklenburg-Vorpommern bei den Betreuungsquoten im Kitabereich (vor allem auch Krippe) führend." Die Kita-Betreuungszeiten betragen laut Ministerium bis zu zehn Stunden täglich.
Auch die Zahl der Frauen in Führungspositionen steigt in Deutschland seit Jahren nur sehr langsam. Von den rund 100 übergeordneten Branchen, die auch das Handelsregister zugrunde legt, gibt es laut Databyte-Auswertung hierzulande lediglich drei Branchen, in denen Frauen die Mehrzahl an Führungskräften stellen: Frisör- und Kosmetiksalons (Frauenanteil an Führungskräften: rund 70 Prozent), Praxen von psychologischen Psychotherapeutinnen und -therapeuten (67 Prozent) und Sekretariats- und Schreibdienste (61 Prozent). Immerhin fast ausgeglichen ist das Geschlechterverhältnis bei Führungskräften in den Bereichen Einzelhandel mit Kosmetikartikeln und Körperpflegeprodukten (rund 48 Prozent Frauenanteil) und Bekleidungshandel (47 Prozent). Wenig erbaulich ist hingegen der Vergleich des Frauenanteils an Führungskräften in den Branchen Finanzwesen und Banken (je rund 14 Prozent) oder Versicherungen (15 Prozent).
Nicht ganz so groß ist dagegen die Kluft zwischen weiblichen und männlichen Firmenanteilseignern. Laut Databyte sind rund ein Drittel aller Firmenbesitzer in Deutschland Frauen. Erstaunlicherweise gibt es nicht eine Branche, in der Frauen die Mehrheit der Anteilseigner stellen. Ein paar Branchen kommen zumindest in die Nähe eines ausgeglichenen Mann-Frau-Verhältnisses in ihrer Eigentümerstruktur, wie etwa Heime (45 Prozent Frauenanteil) und Sozialwesen (42 Prozent), Papier- und Pappherstellung (43 Prozent) oder Forstwirtschaft und Holzeinschlag (42 Prozent). Am deutlichsten in der Minderheit sind weibliche Anteilseigner bei Firmen der Erdöl- und Erdgas-Gewinnung mit einem Anteil von gerade mal elf Prozent sowie Unternehmen im Bereich Erzbergbau (17 Prozent); gefolgt von den Wirtschaftszweigen Rundfunkveranstalter (22 Prozent), Kohlenbergbau und Informationsdienstleistungen (je 25 Prozent).
Merkliche Unterschiede ergeben sich auch hier beim Vergleich des Frauenanteils unter den 16 Bundesländern: Im Saarland gibt es prozentual die meisten weiblichen Anteilseigner mit rund 36 Prozent. Am Schluss der Tabelle stehen die drei Stadtstaaten Bremen (29 Prozent Frauenanteil), Hamburg und Bremen (je rund 28 Prozent).
Auch hierbei muss die Erläuterung mit einer gewissen Vorsicht erfolgen, schließlich ist das Saarland das kleinste der Flächenländer und hat nach Bremen die zweitwenigsten Einwohner aller Bundesländer. Andererseits liegt das Saarland beim Frauenanteil unter Gründer*innen auf Rang 10 und damit weder besonders weit vorn noch weit hinten. Die saarländische Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) verweist in diesem Zusammenhang auf die Saarland Offensive für Gründung: "Das Netzwerk im Saarland, das Gründungswillige beim Schritt in die Selbstständigkeit unterstützt, betreut Frauen als Zielgruppe, die noch immer zusätzlichen Herausforderungen bei der Gründung gegenübersteht, auch besonders intensiv."
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